So unkomfortabel habe ich noch nie gelebt - Was ich aus den vier Tagen auf einer Volvo Open 70 gelernt habe

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Ich saß am Küchentisch, als ich unsere Mails durchging und einen mir fremden Namen in meinem Postfach bemerkte. Ich öffnete die Mail und las sie Thilo, der mir direkt gegenüber saß, laut vor. Es handelte sich um eine Anfrage, ob wir mit einer Volvo Open 70 die Biskaya überqueren wollen. Ich schaltete nicht direkt, da ich nicht genau wusste, um was für ein Boot es sich handelt, doch Thilo war direkt Feuer und Flamme. „Natürlich sind wir dabei, dass müssen wir machen!“. 

 

Und so saßen wir zwei Wochen später zu dritt im Zug auf dem Weg nach Cherbourg. Ich hatte mir mittlerweile einige Fotos, Videos und Roomtouren des Bootes im Internet angeschaut, doch so wirklich vorstellen, was da auf uns zukommt konnte ich mir nicht. Ich hatte keine Angst vor diesem Abenteuer, Vieles war mir bloß noch ein Rätsel. Wie würden wir vier Tage lang dort leben, wie würden wir schlafen, was würden wir essen, was haben wir dort zu tun… tausende von Fragen über die wir gefühlt jede Minute philosophierten rasten durch meinen Kopf. Ich bin selbst kein Bootsspezialist und kenne mich auch nicht wirklich aus, doch auch ich habe teilweise Regatten wie die Vendee Globe verfolgt und die aufwändigen Segelboote oft im Internet oder in Zeitschriften angeschaut. Und nun soll ich vier Tage auf einem dieser Boote leben und ein zweites Mal in meinem Leben die Biskaya mit der Hilfe von Wind und Wasser überqueren. Ich freute mich, ich hatte Lust und war bereit etwas Neues zu erleben.

 

Paul hatte unsere Reise schon länger verfolgt und uns aus einer Laune heraus angeschrieben, uns kurzerhand eingeladen mitzukommen, wenn er das Boot nach dem Rolex Fastnet zurück nach Vigo überführen würde. Als wir in Cherbourgh am Hafen ankamen, stiegen all die Erinnerungen in uns hoch, genau hier kamen wir vor einem Jahr mit unserm eigenen Boot an. Ich hatte all die Bilder vom an- und ablegen und von den Tagen die wir hier noch ziemlich zu Beginn unserer Reise verbrachten im Kopf. 

Paul trafen wir direkt im Hafen und er zeigte uns das Boot und unsere Betten. Das Boot kam mir riesig vor, der Mast unendlich hoch. Überall standen Kurbeln und Winschen herum, tausende Leinen führten ins Cockpit. Als ich ins Innere des Bootes kletterte, verschlug es mir die Sprache. Ich wusste, dass es nicht komfortabel wird und das es keine Kaffefahrt ist mit diesem Boot die Biskaya zu überqueren. Doch es war dennoch weit weg von all den Bildern, die ich mir zuvor in meinem Knopf zurecht gerückt hatte. Rechts uns links reihten sich all die Betten aneinander und übereinander. 12 Personen finden hier einen Platz zum schlafen. In der Mitte des Bootes direkt neben dem Durchgang stand eine kleine Toilette, Privatsphäre wird bei Regatten nicht sehr groß geschrieben. Paul zeigte uns die Küche, ein großes Gestell mit einem kleinen Wasserhahn und zwei Campingkochern zum Wasser erhitzen. „Jeder kann sich hier an den Tütengerichten bedienen, man füllt das heiße Wasser einfach hinein und wartet 8 Minuten, schmeckt garnicht so schlecht.“ Nun und das war’s schon fast, es gab eine kleine Navigationsecke, in die man quasi reinkriechen musste. Hier darf man auf jedenfalls keineswegs anfällig für Seekrankheit sein, denn ohne Tageslicht, viele Stunden am Tag in einer kleinen dunkeln Ecke die einen herumschüttelt zu verbringen ist nicht ohne. 

 

Wir legten unsere Rucksäcke unter unsere Betten und verbrachten eine erste ruhige Nacht im Hafen, bis es dann am nächsten Vormittag losgehen sollte. Morgens lernten wir die Crew kennen. Lauter nette Menschen, die uns willkommen hießen und uns geduldig alles zeigten und erklärten, was wir wissen mussten. Zu Beginn war ich unsicher mit allem was ich tat, ich wollte nicht im Weg stehen aber trotzdem gerne mithelfen, ich wollte nichts kaputt machen aber auch nicht zu vorsichtig wirken. Ich musste mich erst dran gewöhnen an die Mischung zwischen Spaß, Abenteuer und guten Gesprächen und der Ernsthaftigkeit, die von jetzt auf gleich entstand, sobald es ums Segeln ging. Dennoch war es ein gutes Gefühl diesmal nicht einen so großen Teil der Verantwortung zu tragen, wie wir es auf unserm Boot füreinander tun. Die Tage und Nächte waren eingeteilt in Schichten. Wir waren immer zu sechst an Deck und konnten alle drei Stunden für drei Stunden lang schlafen. Die erste Nacht und der erste Tag war unglaublich anstrengend. Ich fragte mich ununterbrochen wie ich innerhalb von drei Stunden zur Ruhe kommen sollte um genug Kraft zu tanken, um wieder drei Stunden dort draußen im dunkeln meine Nachtwache zu halten. Die ersten drei Stunden in der Nacht machte ich kein Auge zu, das Boot hörte sich unter Deck an, als würde es jede Minute auseinander brechen. Die Wellen schlugen gegen die Bordwand und erzeugten einen ohrenbetäubenden Lärm. Jedes Mal wenn jemand oben eine Winsch betätigte, erschreckte ich mich und war hellwach. Ich fürchtete mich ein wenig und sträubte mich nach drei Stunden, mich warm anzuziehen und draußen zu schauen was dort los ist. Als ich aus dem Niedergang krabbelte staunte ich jedoch über die entspannte Situation. Hier oben war es ruhig und kaum mehr so schaukelig. Der Himmel war sternenklar und ich merkte wie ich ihn mittlerweile vermisste. Und so fing ich an mich an das Leben auf diesem Boot, mit diesem Rhythmus, mit all den mir noch fremden Menschen, und mit all den verrückten Umständen und Gegebenheiten zu gewöhnen. Ich fand meine eignen Routinen und merkte von Zeit zu Zeit wie ich anfing mich zu entspannen. 

 

Nach 72 Stunden, 680 Seemeilen, einigen Wenden und Halsen, wenig schlaf, vielen langen Gesprächen, stundenlangem herumsitzen und aufs Meer starren und ca. 6 Tütenmahlzeiten erreichten wir auch schon den Hafen von Vigo an der Küste Spaniens. Erschöpft aber überglücklich kletterten wir auf den Steg und genossen den festen Boden unter den Füßen. 

 

All diese Ereignisse sind so speziell, dass ich sie mit meinen Worten kaum so rüberbringen kann, wie sie wirklich gewesen sind. Jeder wird sein eigenes Bild von diesem Abenteuer bekommen und das ist auch gut so. Trotzdem möchte ich wie immer reflektieren, was mich diese Ereignisse gelehrt haben, was ich daraus mitnehmen durfte, weshalb ich so froh bin diesmal „Ja“ gesagt zu haben und mich auf etwas mir vollkommen Unbekanntes einzulassen. 

 

Ich hatte viel Zeit um nachzudenken, die Biskaya war wie beim letzten Mal gut zu uns, sie war ruhig und hat uns nicht gezeigt, dass sie das sturmreichste Segelrevier der Welt ist. Demnach bestanden unsere Nachtwachen viel aus Sterneschauen, Menschen kennenlernen und auch ich selbst kennenlernen. Diese Art von Abenteuer gehört zu denen, die mir zeigen, was wir wirklich brauchen um zu leben. Ich bin mir dessen bewusst das ich privilegiert aufgewachsen bin und es mir nie an etwas gefehlt hat und darum kann ich nun sagen, dass ich niemals zuvor vier Tage lang auf so unkomfortabele Art und Weise gelebt habe, so minimalistisch, so reduziert. Ich habe in diesen Tagen keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, was ich in Zukunft alles brauche, was mir noch fehlt, was ich noch tun will und was ich nicht tun will. Neben dem Segeln, dem kennenlernen anderer Menschen, dem lauschen fremder Geschichten und dem gemeinsamen Ziel die Biskaya erfolgreich zu überqueren, kümmert man sich viel um sich selbst. Jeder Handschlag, der einem Zuhause so leicht und automatisch erscheint, wird komplizierter und kraftaufwändiger. Und somit schaut man den ganzen Tag lang, dass man in den Zeiträumen in denen man nichts zu tun hat genug schläft, genug isst und trinkt, seine Zähne putzt, die Haare kämmt oder sich etwas frisches anzieht. Man kann also sagen, dass man sein Leben für eine gewisse Zeit aufs aller mindeste reduziert und es nur noch um das geht, was einen am Leben hält. Wie man aussieht, was man besitzt, was man nächste Woche tut, wie viel Geld man verdient, all das spielt keine Rolle. Und ähnlich wie auf unserm eigenen kleinen Boot nur ein wenig direkter, zeigte mir diese Zeit, wie unwichtig viele Dinge sind über die wir uns tagtäglich so viele Sorgen machen. Es zeigt mir wie viel glücklicher wir darüber sein sollten dieses Leben leben zu dürfen, wie viel glücklicher wir darüber sein sollten gesund oder gesund genug um solche Abenteuer erleben zu dürfen zu sein, wie viel glücklicher wir darüber sein sollten all diese wunderbaren Dinge erfahren zu dürfen. Diese Erfahrungen erden mich, sie helfen mir zu verstehen, dass es nicht die materiellen Dinge sind, die einen langfristig glücklich machen, sondern das es die Dinge sind die wir erleben und fühlen können von denen wir nachhaltig profitieren. Wir verbringen soviel Lebenszeit in einem Haus mit einer Couch, einem Fernseher, einem Kühlschrank und einer Dusche, machen es uns so bequem wie möglich, was auch gut ist. Doch wenn wir die Möglichkeit dazu haben etwas zu erleben, in der Natur zu sein, mit sich selbst auszukommen, an die eigenen Grenzen zu gehen, mit etwas weniger Komfort zu leben, dann sollten wir sie nutzen, denn an diesen Erfahrungen wachsen wir oft am meisten und lernen daraus worauf es im Leben ankommt, was von Bedeutung ist und was nicht. 

Für mehr visuelle Eindrücke, wie wir dort an Bord gelebt haben, arbeiten wir zurzeit am YouTube Video. Schaut also auch gerne regelmäßig auf unserm Blue Horizon YouTube Kanal vorbei!


Leonie

Wie ich mit Jonas und Thilo das bis jetzt größte Abenteuer meines Lebens starte und euch auf meiner Gedankenreise mitnehme.

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