Mit der Blue gegen den Strom



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Erster Tag

Am Sonntagmorgen, nach einem von wenigen wunderschönen Sonnenaufgängen, ohne auch nur einen Hauch von Wind, sollte es dann endlich los gehen. Wir haben alles vorbereitet, was wir uns in den Kopf gesetzt hatten, wir haben eingekauft und es uns, so gut es ging, in dem Boot wohnlich gemacht, denn es war klar: mindestens die nächsten 5 Tage werden wir hier das erste Mal für längere Zeit zu dritt drin verbringen. Ohne Strom, ohne fließendes Wasser und mit einer noch nicht ausgetesteten Toilette, die per Handpumpe funktionieren soll. Werden wir nachts in einem Hafen schlafen? Können wir zwischendurch irgendwo anlegen, duschen, einkaufen? Keine Ahnung… diese Fragen wollten wir spontan klären und uns ohne einen so genauen Plan in das erste kleine Abenteuer stürzen. Und so ging es früh im Sonnenaufgang los. Der Weg bis nach Amsterdam war entspannt, da wir unsere Masten extra so umgebaut haben, dass wir vor keiner Brücke warten mussten. In Amsterdam wurde es dann allerdings knapp mit der Höhe unseres Bootes. Durch viele der Brücken passten wir so gerade durch, während andere doch noch geöffnet werden mussten, damit wir weiterkamen. Mit unserem eigenen Segelboot durch die kleinen Kanäle mitten in Amsterdam, das war ein Erlebnis, welches man so schnell nicht vergessen wird. Das Flair dieser Stadt hat uns schon einige Male zuvor fasziniert, aber nun alles aus dieser Perspektive wahrzunehmen, war wunderschön.

Zufrieden, es ohne Probleme durch die Stadt geschafft zu haben, fuhren wir in der Hoffnung, bald einen geeigneten Anlegeplatz zu finden, im Abenddämmern über den Amsterdam-Rhein-Kanal. Zu unserem Unglück war der Kanal sehr befahren von großen Schubverbänden. Es wurde immer dunkler und wir mussten unsere neu ergatterten Navigationslichter anbringen. Viel Sicht spendeten diese uns allerdings nicht wirklich. Als es irgendwann so dunkel wurde, dass wir auch die großen Schiffe nicht mehr richtig erkennen konnten, kam langsam eine etwas gestresste Stimmung auf. Wir versuchten am Rand anzulegen, doch die Wellen, die die Frachtschiffe erzeugten, machten es uns unmöglich die Nacht am Kanalrand zu verbringen. Also mussten wir weiter. Es dauerte nicht lange und ein hell blinkendes Schiff fuhr nah neben uns her. Die Frachtschiffe haben uns auf ihrem Radar umherirren sehen und die Polizei alarmiert. Sehr freundlich begleiteten die Wasserpolizisten uns mehrere Kilometer zum nächsten Polizeirevier. Hier durften wir die Nacht an einem ruhigen Anlegeplatz verbringen.

Nach dem Tag merkten wir langsam, wie unerfahren wir tatsächlich sind. Wir sind schon nach einem Tag auf unserem Heimweg in so viele neue und auch schwierige Situationen geraten, die uns vor Augen geführt haben, dass wir auch in den nächsten Tagen noch viel Ungewisses erleben werden. Mit gemischten Gefühlen legten wir uns abends schlafen, damit wir am nächsten Tag etwas erholt sind.

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Zweiter Tag

Schnell das Gesicht waschen, Öl checken, Dieselverbrauch kontrollieren und los… So hatten wir uns das vorgestellt, bevor unser Motor beim Startversuch keinen Ton mehr von sich gab. Niedergeschlagen probierten wir alles aus, um herauszufinden, warum der Motor einfach nicht anspringen will. Mit dem Druck schnell das Polizeirevier verlassen zu müssen, spekulierten wir, dass der Fehler an der Lichtmaschine liegen muss, die unsere Batterien nicht mehr auflädt und diese so den Motor nicht mehr starten können. Und nun? Wie bekommen wir das Boot nur nach Hause? Wie bekommen wir das Boot überhaupt von diesem Ort weg, an dem man eigentlich gar nicht liegen darf?? Wir rätselten herum, jeder hatte eine andere Idee, wir telefonierten, fragten nach Strom und versuchten, die Batterien wieder aufzuladen. Aber es reichte einfach nicht, um den Motor zum Laufen zu bringen. Unsere letzte Lösung: Wir brauchten eine volle neue Batterie. Also kauften wir ein paar Kilometer weiter eine nigelnagelneue Batterie und schleppten sie zum Boot. Gespannt bauten wir sie ein und freuten uns wie kleine Kinder, als wir das vertraute Klappern des Motors hörten. Wir suchten einen Liegeplatz in der Nähe und fuhren drei Stunden, um dorthin zu gelangen. Schon wieder waren wir im Stockdunkeln auf dem Kanal unterwegs. Und natürlich sollten wir genau in diesem Moment unsere erste Schleusenerfahrung machen. Bevor wir überhaupt drüber nachdenken konnten, was gerade passiert, befanden wir uns zwischen zwei 6 Meter hohen Betonmauern, die vorne und hinten mit riesigen Schiebetoren verschlossen wurden. Hinter uns ein ebenso großes Containerschiff. Sofort hatten wir jegliche Filme im Kopf, an die uns diese Situation erinnerte. Wir kamen uns vor, als befänden wir uns auf einer winzigen Nussschale. Das Boot bewegte sich hin und her und wir wussten nicht, wie wir uns am besten an den Riesenpfosten befestigen sollten. Ehe wir uns versahen, strömte das Wasser in die Schleuse und drückte unser Boot in Sekundenschnelle mehrere Meter weit nach oben. Schnell raus, das sollte geschafft sein für heute. Im Dunkeln im nächsten Hafen einparken? Im Vergleich dazu ein Kinderspiel.

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Dritter Tag

Schon beim Aufwachen stellte sich wieder das ungewisse Gefühl ein, welches wir für die Nacht für ein paar Stunden vergessen konnten. Wie bekommen wir nur den Motor wieder an? Da wir unsere Fragen auch auf unserer Heimfahrt wieder mit Freunden und Familie teilen durften, waren wir uns mittlerweile bewusst, dass unser Motor, dadurch das es sich um einen alten mechanischen Diesel handelt, auch ohne Strom und Batterie fährt. Also blieb uns nur noch das Problem, dass er dafür erst einmal viel Strom benötigt, um anzuspringen. Unsere neue Batterie hatten wir den vorherigen Tag für drei Stunden genutzt… Wir gingen trotzdem das Risiko ein und sollten Glück haben. Nach Hoffen und Bangen sprang der Motor tatsächlich noch mit dem Reststrom der neuen Batterie an. Wir konnten also losfahren und die Batterie abklemmen, damit wir sie nicht tiefentladen und somit kaputt machten. Abgesehen von den kalten Duschen starteten wir zufrieden in den nächsten Abenteuertag. Wir verbrachten den gesamten Tag auf dem Niederrhein. Die Stunden verstrichen. Im Grunde taten wir den ganzen Tag nichts, doch trotzdem waren wir nicht unzufrieden, denn wir kamen gut voran. Vor uns stand noch die größte Hürde dieser Reise: Der Rhein. Etliche Foren und Ratschläge haben wir uns durchgelesen und angehört. Die Strömung, der Tiefgang, die Containerschiffe… Wir hatten keine Ahnung, ob unser Boot das überhaupt schaffen kann. Am Abend wollten wir schon das erste Stück auf dem großen Fluss hinter uns bringen, da wir uns dort den nächsten Hafen herausgesucht hatten. Natürlich mussten wir diesen aufregenden Part wieder im Dunkeln erleben. Zwischen all den riesigen schnellen Schiffen, die wir kaum sehen konnten, bewegten wir uns, als wir auf dem Rhein angekommen waren, quasi gar nicht mehr. Gott sei Dank befand sich unser Hafen unmittelbar nach der Rheineinfahrt. Doch der Weg bis zu der Hafenbucht: komplett dunkel. Wir konnten die Bojen, die den Tiefgang kennzeichneten, nicht erkennen und fuhren uns auf dem Rhein das erste Mal auf unserer Reise fest. Panische Stimmung breitete sich aus und Jonas bemühte sich verzweifelt, uns zu beruhigen. Thilo leuchtete mit einer Laterne zumindest ein oder zwei Meter voraus. Und so schafften wir es, bis auf die Haut vom Regen durchnässt, und  total erschöpft, zu unserem Schlafplatz.

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Vierter Tag

Täglich grüßt das Murmeltier. Die ganze Nacht haben wir die Batterie geladen, doch für heute sollte das nicht mehr reichen, um den Motor zu starten. Jetzt blieb uns nur eins übrig, wir mussten jemanden finden, der uns helfen kann. Also trafen wir auf einen Bootsladenbesitzer in der Nähe, der uns eine Starthilfe lieh und uns, weil wir den Motor anbekommen haben, zur Feier des Tages einen warmen Kaffee spendierte. So konnte unser Tag auf dem Rhein starten. Es wurde anstrengend. Wir kamen so langsam gegen die Strömung an, dass wir stundenlang dieselbe Brücke vor uns hatten. Um der Strömung auszuweichen, versuchten wir soweit es geht am Rand zu fahren. Keine gute Idee wie sich herausstellte. Der Rhein hat so wenig Tiefgang, dass wir irgendwann durch das laute Kratzen der Steine an unserem Kiel aufschraken. Also lieber doch rein in die Strömung. Hinzu kamen undefinierbare Geräusche der Schraube, die uns stutzig machten, seitdem der Motor so gefordert wurde. Wir entschieden uns relativ früh, in einen kleinen Hafen einzukehren. Wir legten an und fanden uns in einem kleinen verlassenen Ort wieder, der einem Drehort für einen Krimi sehr nahekam. In einer Bar am Hafen trafen wir auf die einzigen beiden Leute weit und breit, die wir um Hilfe baten, da wir uns schon wieder um eine Motorstartlösung für den nächsten Tag kümmern mussten. Leider vergeblich. Die letzte Fähre, um in die Stadt zu kommen, war ebenfalls schon weg. Verzweifelt baten wir einen Angler uns mitzunehmen und wir hatten Glück. Alex nahm sich Zeit uns zum Baumarkt zu bringen, wo wir eine Starthilfe kauften und anschließend mit ihm Pizza essen gingen. Wir quatschten über unsere Ideen für die Zukunft, über Alex Anglergeschichten und vergaßen für einige Zeit unsere Sorgen über den Motor.

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Fünfter Tag

 Am nächsten Morgen sprangen Jonas und Thilo zuerst einmal in das eiskalte Wasser, um nach der Schraube zu sehen. Sie fanden beide nichts. Dann mussten wir auch noch ernüchternd feststellen, dass auch die neue Starthilfe zu schwach war den Motor anzubekommen. Doch Alex, der fasziniert von unseren Vorhaben war und morgens wieder vorbeikam, half uns ein zweites Mal aus der Patsche. Er organisierte uns eine Starthilfe eines Freundes und unsere Fahrt konnte weiter gehen. Noch einen Tag gegen diese unfassbar starke Strömung und wir haben das Schlimmste geschafft. Die Zeit zog sich dahin und wir hofften, dass unser Motor weiterhin beständig läuft. Und das tat er auch. Am Nachmittag bogen wir links auf den Datteln-Wesel-Kanal ab. Hier wurden wir viele Meter hochgeschleust und befanden uns nun ohne jegliche Strömung auf den letzten Kilometern unserer Reise. Mal wieder im Dunkeln suchten wir lange nach einem Schlafplatz und freuten uns zufrieden auf den nächsten Tag.

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Sechster Tag

Jonas, der am Abend zuvor nach Hause gefahren war, brachte uns morgens früh Brötchen und eine Powerbank für Autobatterien mit. Es war dann der erste Morgen, an dem wir den Motor ohne Probleme anbekamen. Wir kamen früh los und wollten es heute bis nach Hause schaffen. Ohne die Strömung kamen wir uns mit unserem Boot fast schon richtig schnell vor. Fünf Schleusen später bogen wir auf unseren Heimatkanal, den Datteln-Hamm-Kanal, ab. Es war ein unvergessliches Erlebnis, mit unserem eigenen Boot durch unsere gewohnte Umgebung zu fahren. Wir waren so erleichtert an diesem Punkt angelangt zu sein und warteten euphorisch auf unser letztes Einparkmanöver. Das Wetter war auf unserer Seite und so parkten wir im Sonnenuntergang souverän in unseren zugewiesenen Liegeplatz ein.

 

Diese sechs Tage, die wir gebraucht haben, um unser Boot nach Hause zu bringen, werden noch lange Zeit in unseren Köpfen bleiben: So unerfahren und fast schon leichtsinnig, wie wir in Holland los gefahren sind. So viel, wie wir gelernt und erfahren haben. So viel Hoffen und Bangen und so viel Erleichterung, die wir erleben durften, wenn etwas geklappt hat. Plötzlich ist die „Blue“ nicht mehr nur das Stahlboot, zu dem wir immer nach Holland fahren, um ein bisschen zu werkeln. Nein, sie ist nun in unserer unmittelbaren Nähe, wir haben schon ein richtiges kleines Abenteuer mit ihr erlebt und freuen uns nun darauf, uns alles so einzurichten, wie wir uns das vorstellen.

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